Europäische Trends
Überblick Monitor soziale Rechte
Europa stand im Berichtszeitraum 2023-2024 vor bekannten, aber sich weiterentwickelnden sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen. In einigen Bereichen gab es kontinuierliche Fortschritte, wie z. B. Verbesserungen beim Elternurlaub, bei flexiblen Arbeitsregelungen und beim verstärkten Zugang zur Telearbeit, die alle die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Die sozialen Rechte wurden jedoch durch besorgniserregende neue Rechtsvorschriften in mehreren Ländern in Frage gestellt. Es besteht ein anhaltender Bedarf an wirksamen Weiterbildungs- und Umschulungsprogrammen für den gerechten grünen Übergang. In der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt sind Finanzierungslücken und Ungleichgewichte weiterhin die größten Herausforderungen. Obwohl einige Länder Pläne zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt, der wirtschaftlichen Ungleichheit von Frauen und der Diskriminierung der LGBTQI+-Gemeinschaft eingeführt haben, wurden die Fortschritte durch Lücken bei der Umsetzung und den Ressourcen begrenzt. Die Integration von Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern ist nach wie vor ein äußerst kritischer Bereich. Nichteuropäische Migranten werden zunehmend an den Rand gedrängt und von Sozialleistungen ausgeschlossen, und die begrüßenswerten Maßnahmen zur Förderung der Integration konzentrieren sich weiterhin auf ukrainische Flüchtlinge. Die Wohnungskrise hat sich verschärft, und der kritische Mangel an erschwinglichem Wohnraum wurde durch steigende Mieten und Immobilienpreise noch verschlimmert. Auch die Energiearmut nimmt zu und ist trotz der Fortschritte im Bereich der sauberen Energie, die immer noch weitgehend unzugänglich ist, zu einem wichtigen Thema geworden. Die Armut nimmt weiter zu, insbesondere bei sozial schwachen Gruppen wie Rentnern und Familien. In vielen Ländern hat die Ernährungsunsicherheit zugenommen, und die Menschen sind gezwungen, bei lebensnotwendigen Dingen Abstriche zu machen oder auf minderwertige Alternativen auszuweichen, um über die Runden zu kommen. Die Jugendarbeitslosigkeit schränkt die Möglichkeiten für junge Menschen weiterhin ein, insbesondere in Südeuropa und auf dem Balkan, was die Notwendigkeit wirksamerer, koordinierterer politischer Maßnahmen unterstreicht.

Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt
Geschlechtergleichheit
Der Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) für das Jahr 2023 liegt für die gesamte Europäische Union bei 70,2 von 100 Punkten, was einem Anstieg von 1,6 Punkten gegenüber 2022 entspricht. Dieser Anstieg im Vergleich zum Vorjahr war der höchste seit der ersten Ausgabe des Index im Jahr 2013. Zwischen dem besten (Schweden) und dem schlechtesten Staat (Rumänien) klaffte eine Lücke von 26,1 Punkten.
Der Index stieg in den Bereichen Macht (+1,9 Punkte) und Zeit (+3,6 Punkte), dank einer Verringerung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der unbezahlten Pflege. Im Bereich Geld ging der Index jedoch zurück (-0,4 Punkte), was die wachsende Besorgnis über die wirtschaftliche Ungleichheit widerspiegelt, die durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft wurde. Für geschlechtsspezifische Gewalt gab es keine EU-weite Punktzahl, da die Daten in den Mitgliedstaaten unzureichend und nicht vergleichbar sind.[1]
Geschlechtsspezifische Gewalt ist den NSG zufolge nach wie vor ein ernstes Problem in ganz Europa, und die Gewalt gegen Frauen - einschließlich Femizide - hat in einigen Ländern zugenommen. Im Jahr 2023 meldete Italien mehr als 120 Femizide, die zumeist von aktuellen oder ehemaligen Partnern begangen wurden. In Serbien wurden Forderungen laut, Femizid als eigenständigen Straftatbestand einzustufen und den Schutz von Frauen zu stärken, aber es wurden keine wesentlichen Fortschritte erzielt.
Auch die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen besteht fort. Die NSG berichten von anhaltenden Beschäftigungslücken und geringer wirtschaftlicher Unabhängigkeit für Frauen sowie dem häufigen Missbrauch von Teilzeitverträgen in von Frauen dominierten Sektoren. Die LGBTQI+-Gemeinschaft leidet ebenfalls unter Diskriminierung und Gewalt, und die "Anti-Gender"-Bewegung wächst in Ländern mit sehr unterschiedlichen sozio-politischen Kontexten, wie Deutschland und Nordmazedonien.
Allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen
Die Fortschritte im Bildungsbereich waren in Europa unterschiedlich. Die Ausweitung von EU-finanzierten Programmen wie Erasmus+ und dem Europäischen Solidaritätskorps (ESC) auf Länder wie Albanien hat sich positiv ausgewirkt und bietet mehr Möglichkeiten für die Mobilität junger Menschen und interkulturelles Lernen.
Die NSG berichteten jedoch von regionalen Unterschieden beim Zugang zur Bildung und bei der Qualität der Bildung, während viele Lehrer nicht die Möglichkeit haben, sich beruflich weiterzubilden. Haushaltskürzungen haben die Bildungssysteme in ganz Europa erheblich belastet. Erhebliche Mittelkürzungen haben sich auf kritische Bereiche im deutschen Bildungssektor und auf Akteure der informellen Bildung in Frankreich ausgewirkt. Ressourcenbeschränkungen wirken sich auch negativ auf die Eingliederung gefährdeter Kinder wie der Roma aus, deren Einschulungsrate weiterhin unter dem EU- und regionalen Durchschnitt liegt. Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Migrations-, Flüchtlings- oder Asylbewerberhintergrund (MRA) sind ebenfalls von den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Integration betroffen.
Einbeziehung von MRAs und Minderheiten
Ende 2023 waren 22,5 Millionen Menschen in Europa entweder gewaltsam vertrieben, staatenlos oder beides, ein leichter Anstieg gegenüber 21,8 Millionen im Jahr 2022. Fast 6 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine wurden in anderen europäischen Ländern registriert, einige im Rahmen der Richtlinie der Europäischen Union (EU) über vorübergehenden Schutz - die bis März 2025 verlängert wurde - und andere im Rahmen ähnlicher nationaler Regelungen.[2]
Die jüngsten positiven Maßnahmen in Europa zur Integration von Migranten, Flüchtlingen, Asylbewerbern und Minderheiten betrafen vor allem ukrainische Flüchtlinge. In Bulgarien beispielsweise haben ukrainische Flüchtlinge nun den gleichen Zugang zu Sozialleistungen wie bulgarische Bürger. Ein besorgniserregender europaweiter Trend ist jedoch, dass dieser Schutz nicht immer auf nichteuropäische Migranten ausgedehnt wurde, die stattdessen oft mit immer schwierigeren und strengeren Bedingungen konfrontiert wurden. Ende 2023 erzielte die EU eine politische Einigung über den Pakt zu Migration und Asyl, mit dem entsetzliche Praktiken institutionalisiert werden, die einige Mitgliedstaaten seit Jahren illegal anwenden, vor allem die de facto Inhaftierung von Asylbewerbern und zweitklassige Asylverfahren (die weniger Schutz bieten) an den Grenzen.[3] Der Pakt wird die Grundrechte und die Integration von Flüchtlingen und anderen Migranten in der EU weiter gefährden.
Zu den Hindernissen, die MRAs den Zugang zu grundlegenden Rechten erschweren, gehören die zunehmende Digitalisierung, die in Ländern wie Frankreich besonders problematisch ist, da sie zu sozialer Ausgrenzung führt, sowie langwierige Verwaltungsverfahren, wie sie in Kroatien und Portugal zu beobachten sind. Ein besorgniserregender Trend ist, dass einige Länder die Normalisierung von Gewalt in den Aufnahmesystemen für Migranten und Flüchtlinge anprangern. Dies erfordert eine Verlagerung der Verantwortung von den nationalen Behörden auf die lokalen Regierungen, um die Achtung der Menschenrechte von Migranten besser zu gewährleisten. Darüber hinaus sind in Offshore-Gefangenenlagern Menschenrechtsprobleme aufgetreten, und die Bedingungen in öffentlichen Aufnahmesystemen haben sich ebenso verschlechtert wie die Maßnahmen für unbegleitete Minderjährige. Italiens Vereinbarung, in Albanien Offshore-Gefangenenlager für erwachsene männliche Asylbewerber einzurichten, wurde als Verstoß gegen die Menschenrechte kritisiert, da dadurch die EU-Grenzen überschritten werden. Innerhalb der EU-Grenzen werden die Roma und die Balkan-Ägypter systematisch diskriminiert, und bei den Aktionsplänen zu ihrer Eingliederung in die Gesellschaft fehlt es oft an einer echten Beteiligung dieser Gemeinschaften.
In Europa gibt es geschlechtsspezifische Ungleichheiten bei der Arbeitsmarktintegration, von denen insbesondere Migrantinnen betroffen sind. Während die jüngsten Reformen in einigen Ländern den Zugang von Migranten zum Arbeitsmarkt verbessert haben, sehen sich viele Migranten in ihren Gastländern immer noch mit Rechtsverletzungen konfrontiert. So berichtet der NSG in Deutschland, dass zugewanderte Männer auch nach Jahren des Aufenthalts eher einen Arbeitsplatz finden als Frauen. In Belgien sehen sich viele Migrantinnen mit Problemen im Zusammenhang mit der Überqualifizierung konfrontiert, die ihre Beschäftigungsmöglichkeiten einschränkt. Im Bildungsbereich haben Kinder mit Migrationshintergrund ein relativ niedriges Leistungsniveau, was die allgemeinen Ungleichheiten in ganz Europa unterstreicht.
Jugendarbeitslosigkeit
Bei der Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa, die relativ konstant bei etwa 14,5% liegt, gab es eine Mischung aus Fortschritten und anhaltenden Herausforderungen.[4]
Einige Länder haben Maßnahmen zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit ergriffen, während andere mit strukturellen Problemen wie dem Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage und den Auswirkungen von Zeitverträgen zu kämpfen haben. Serbien beispielsweise hat die Jugendarbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren gesenkt, aber junge Menschen haben immer noch Schwierigkeiten, eine langfristige Beschäftigung zu finden, was viele dazu veranlasst, im Ausland nach Möglichkeiten zu suchen. In Italien ist die Jugendarbeitslosigkeit zwar leicht zurückgegangen, gehört aber nach wie vor zu den höchsten in Europa. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, darunter ein Bildungssystem, das sich nicht auf technische und praktische Fähigkeiten konzentriert, die weit verbreitete Nutzung unbezahlter Praktika und die Abhängigkeit von Zeitverträgen. In Bulgarien steht ein Mangel an Arbeitskräften in Schlüsselsektoren im Gegensatz zu einer steigenden Jugendarbeitslosigkeit, was ein Missverhältnis zwischen den Qualifikationen widerspiegelt.
[1] Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (2023), Gender Equality Index: https://eige.europa.eu/gender-equality-index/2023
[2] UNCHR (2023), Globaler Bericht 2023 - Europa: https://reporting.unhcr.org/global-report-2023/regional-overviews/europe#:~:text=Regional%20overview-,By%20the%20end%20of%202023%2C%20the%20number%20of%20forcibly%20displaced,million%20people%20were%20internally%20displaced.
[3] Europäische Kommission (2024), Pakt zu Migration und Asyl: https://home-affairs.ec.europa.eu/policies/migration-and-asylum/pact-migration-and-asylum_en
[4] Eurostat (2024), Statistik der Arbeitslosigkeit: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Unemployment_statistics

Faire Beschäftigungsbedingungen
Angemessene Löhne
Im zweiten Quartal 2023 sanken die Reallöhne in der EU um 0,8% gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022. Italien verzeichnete mit über 4% einen der stärksten Rückgänge, während Belgien mit einem Reallohnzuwachs von über 5% einen bemerkenswerten Aufschwung erlebte.[1]
In ganz Europa sind die Löhne ein zentrales Thema, insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Inflation. Einige Länder haben ihre Mindestlöhne angehoben und sie an die Inflation angepasst. In anderen jedoch stagnieren die Löhne, die Lohnpolitik wird nicht angemessen umgesetzt, und die sozioökonomische Kluft wächst. Die Frist für die Umsetzung der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne läuft am 15. November 2024 ab, aber es bestehen weiterhin Zweifel, ob sie in vielen Ländern wirksam umgesetzt wird. Besonders besorgniserregend ist das Fehlen verbindlicher Vorgaben für eine gemeinsame Methodik zur Gewährleistung einer angemessenen Umsetzung.
Eine immer wiederkehrende Herausforderung ist die Kluft zwischen dem Wachstum der Nominallöhne und den Veränderungen der Realeinkommen. Obwohl die Nominallöhne in vielen Ländern wie Italien, Kroatien und Portugal gestiegen sind, haben diese Zuwächse oft nicht mit der Inflation Schritt gehalten. Dies hat zu einem Rückgang der Kaufkraft der Arbeitnehmer geführt und die sozioökonomischen Ungleichheiten verschärft. In Italien beispielsweise steigt der Anteil der armen Erwerbstätigen trotz der Nominallohnerhöhungen weiter an, insbesondere bei den Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen.
Die Bemühungen, die Löhne an die Inflation zu koppeln, haben zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Spanien hat die Kaufkraft der Arbeitnehmer erfolgreich erhalten, indem es die Lohnerhöhungen an die Inflation gekoppelt und so die Realeinkommen vor steigenden Preisen geschützt hat. Im Gegensatz dazu weist das belgische Lohnindexierungssystem Lücken auf, so dass viele Arbeitnehmer nicht vor der Inflation geschützt sind. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur Maßnahmen zur Lohnindexierung zu ergreifen, sondern auch deren Wirksamkeit und Fairness in allen Sektoren zu gewährleisten.
[1] Europäische Kommission (2023), Labour Market and Wage Developments in Europe 2023: https://op.europa.eu/webpub/empl/lmwd-annual-review-report-2023/chapter2/real-wages-and-purchasing-power.html#:~:text=Real%20wages%20declined%20by%200.8,and%20Malta%20(Graph%202.4).

Sozialschutz und Inklusion
Wohnen
Die steigenden Lebenshaltungskosten wirkten sich auf den Zugang zu angemessenem Wohnraum in Europa im Jahr 2023 aus. Die Wohnungspreise und -mieten stiegen insgesamt weiter an und übertrafen das Lohnwachstum, was in der gesamten EU zu Bedenken hinsichtlich der Erschwinglichkeit führte.[1] Im ersten Quartal 2024 stiegen die durchschnittlichen Hauspreise in der EU um 0,4% und die Mieten um 0,9% gegenüber dem vierten Quartal 2023. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2023 stiegen die Hauspreise um 1,3%, während die Mieten um 3,0% zunahmen.[2]
Den Berichten fast aller NSG zufolge ist der soziale Wohnungsbau in erheblichem Maße unzureichend und unangemessen. In einigen Ländern, wie z. B. Belgien, wird der Zugang häufig durch strenge und diskriminierende Auswahlkriterien erschwert, von denen besonders schutzbedürftige Gruppen, darunter Jugendliche und Migranten, unverhältnismäßig stark betroffen sind. Im deutschen sozialen Wohnungswesen besteht ein dringender Mangel an 1,9 Millionen erschwinglichen Wohnungen im sozialen Wohnungsbau in Großstädten, was die Bemühungen um die Deckung des Wohnungsbedarfs angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen erschwert. In Spanien haben junge Menschen erhebliche Schwierigkeiten, aus dem Haus ihrer Eltern auszuziehen, vor allem wegen der hohen Mieten, was ihre Gefährdung verdeutlicht.
Wohnungsknappheit und die Ausweitung von Kurzzeitmieten haben die Mieten und Immobilienpreise in ganz Europa in die Höhe getrieben, und der Anstieg übersteigt das Einkommenswachstum, so dass Wohnraum zunehmend unerschwinglich wird. Die Situation hat sich in städtischen Zentren verschärft, wo die Gentrifizierungspolitik einen extremen Anstieg der Mieten fördert. In Ländern wie Italien, Spanien und Portugal treiben die Vermietungen durch Touristen die lokalen Wohnkosten in die Höhe. Vor allem in Portugal steigen die Mieten und Immobilienpreise weitaus schneller als Löhne und Renten. Diese Trends machen deutlich, dass eine stärkere Wohnungspolitik erforderlich ist, um das begrenzte Angebot und die Unerschwinglichkeit zu bekämpfen.
Armutsbekämpfung
Die Beseitigung der Armut ist nach wie vor eine große Herausforderung in ganz Europa, da viele Menschen weiterhin mit niedrigen Einkommen und sozialer Ausgrenzung zu kämpfen haben, eine Situation, die sich durch die anhaltenden Folgen des Krieges in der Ukraine noch verschlimmert. Im Jahr 2023 waren 94,6 Millionen Menschen in der EU (21% der Bevölkerung) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Die höchsten Raten wurden aus Rumänien (32%), Bulgarien (30%), Spanien (27%) und Griechenland (26%) gemeldet.[3]
Viele NSG berichteten, dass die Armut aufgrund steigender Lebenshaltungskosten und einer ungleichen Verteilung des Wohlstands mitunter trotz Einkommenszuwächsen fortbesteht. In vielen Ländern fehlt es an gezielten staatlichen Anstrengungen und langfristigen Strategien zur Bekämpfung der Armut, stattdessen hat man sich auf Notmaßnahmen verlassen. In Frankreich zum Beispiel hat das Fehlen einer umfassenden Strategie zur Armutsbekämpfung das Problem noch verschärft. In Griechenland werden wesentliche Dienstleistungen für Menschen in Armut oft von NRO und nicht vom öffentlichen Sektor erbracht.
Der Anstieg der Lebensmittelpreise hat besonders schutzbedürftige Gruppen wie Rentner und Familien mit Kindern getroffen, so dass viele von ihnen gezwungen sind, bei den Lebensmitteln zu sparen oder sich für minderwertige, weniger nahrhafte Optionen zu entscheiden. In Kroatien arbeiten rund 28.735 Rentner in Teilzeit, um ihr unzureichendes Einkommen aufzubessern, während die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung oft unter der Armutsgrenze bleiben. In Frankreich wird erwartet, dass die jüngste Rentenreform, mit der das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben wurde, auch zu einer Kürzung der Rentenleistungen führen wird, was wiederum diejenigen trifft, die ohnehin schon Mühe haben, über die Runden zu kommen. Das NSG in Spanien betonte die Notwendigkeit, sich auf die Senkung der Lebenshaltungskosten zu konzentrieren, um die Armut wirksam zu bekämpfen. In Serbien wurde das Sozialkartengesetz für sein automatisiertes Anspruchsverfahren kritisiert, das zu einem erheblichen Rückgang der Zahl der Empfänger von Finanzhilfe führte.
Trotz dieser Herausforderungen haben sich einige positive Initiativen herauskristallisiert. Eine davon ist das französische Programm "Langfristige Null-Arbeitslosen-Gebiete", das als vielversprechender Weg zur Verringerung der Arbeitslosigkeit durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Sozial- und Solidarwirtschaft (SSE) angesehen wird. Ein allgemeiner Mangel an substanziellen Investitionen in Wohlfahrtsdienste und Interventionen des öffentlichen Sektors stellt jedoch nach wie vor ein erhebliches Hindernis bei der Bekämpfung der Armut in ganz Europa dar.
Zugang zur Gesundheitsversorgung
Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist in ganz Europa nach wie vor ein großes Problem. Viele NSG berichteten, dass die nationalen Gesundheitssysteme unter zunehmendem Druck stehen, was zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt. Personalmangel, längere Wartezeiten und Verzögerungen bei größeren Operationen sind an der Tagesordnung, und die Probleme werden durch die abnehmende Motivation der Angehörigen der Gesundheitsberufe noch verschärft. Die private Gesundheitsfürsorge expandiert auf Kosten der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, was durch Investitionsverlagerungen wie in Griechenland und die Abwanderung von Beschäftigten im Gesundheitswesen auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen wie in Nordmazedonien bedingt ist. Auch der Verwaltungsaufwand behindert den Zugang zur Gesundheitsversorgung: Die NSG verwiesen häufig auf den hohen bürokratischen Aufwand, die unzureichende Finanzierung des Gesundheitswesens und das Fehlen von Langzeitpflegediensten. Das belgische NSG wies auf die hohen Kosten der Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche hin, während das bulgarische NSG von überhöhten Zuzahlungen berichtete. In Ländern wie Serbien, wo die ländlichen Gebiete besonders unterversorgt sind, gibt es große Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zwischen Stadt und Land. In Italien, wo 6,1% der Haushalte von Armut im Gesundheitswesen betroffen sind, könnte ein jüngster Vorschlag, den Regionen mehr Autonomie zu gewähren, die bestehenden Ungleichheiten zwischen dem wohlhabenderen Norden und dem ärmeren Süden noch verschärfen.
Besonders schutzbedürftige Gruppen, insbesondere Migranten, haben noch größere Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Das Gesamtbild in ganz Europa erfordert Verbesserungen, um sicherzustellen, dass alle Bürger, unabhängig von ihrem Status oder Wohnort, angemessenen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Dies erfordert eine Aufstockung der öffentlichen Finanzierung, eine geografische Umverteilung der Gesundheitsdienste sowie eine Ausweitung des Leistungsumfangs und der Zugänglichkeit.
[1] Eurostat (2023), Wohnen in Europa - Ausgabe 2023: https://ec.europa.eu/eurostat/web/interactive-publications/housing-2023
[2] Eurostat (2024), Hauspreise und Mieten stiegen zwischen Q4 2023 und Q1 2024: https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20240705-1
[3] Eurostat (2024), Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Personen im Jahr 2023: https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20240612-1#:~:text=In%202023%2C%2094.6%20million%20people,household%20with%20very%20low%20work

Raum für bürgerliches Engagement
Raum für die Organisationen der Zivilgesellschaft
Im Jahr 2023 stand der zivile Raum in Europa vor großen Herausforderungen, da sich die Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärften. In mehreren EU-Ländern, darunter Belgien, die Tschechische Republik, Griechenland und Portugal, brachen als Reaktion auf die steigenden Energiepreise und Lebenshaltungskosten Proteste aus. Klimagruppen lehnten die von den EU-Ländern als Reaktion auf die Krise vorgenommenen Änderungen in der Energiepolitik entschieden ab. Im Gegenzug gingen die europäischen Regierungen zunehmend gegen Umweltaktivisten vor. Gewaltlose Proteste wurden mit Verhaftungen, Strafverfolgungen und Einschüchterungen beantwortet, was ein beunruhigendes Schrumpfen des Raums für zivilgesellschaftliches Engagement und abweichende Meinungen verdeutlicht.[1]
Berichte über Protestverbote, polizeiliche Repressionen und Einschränkungen des Streikrechts haben zugenommen, während gleichzeitig das Vertrauen in die Medien schwindet. In Kroatien und Serbien haben die Behörden Verleumdungskampagnen und Angriffe auf Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) und Aktivisten gestartet. In Italien hat die Zahl der Verleumdungsklagen gegen Journalisten zugenommen, und das neue "Öko-Vandalen"-Gesetz wurde genutzt, um gegen Klimaaktivisten vorzugehen.
Griechenland bildet jedoch eine Ausnahme. Die Einschüchterung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Journalisten durch die Regierung hat abgenommen, zum Teil weil internationale Ereignisse die Aufmerksamkeit von internen Meinungsverschiedenheiten abgelenkt haben. Die Finanzierung von Vereinigungen wird in ganz Europa als unzureichend bezeichnet, und für zivilgesellschaftliche Organisationen, die im portugiesischen Migrationssektor tätig sind, ist die Lage besonders schlimm. Die NSG berichten von schwerfälligen Verwaltungsverfahren für den Zugang zu Finanzmitteln, die diese Herausforderungen noch verschärfen. In Frankreich verlangt der republikanische Verpflichtungsvertrag (CER) von Vereinigungen, die sich um staatliche Mittel bemühen, dass sie sich an den Grundsätzen der Regierung orientieren, was zu einer Zunahme der willkürlichen Auflösung von zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt hat. In ähnlicher Weise werden in Kroatien unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen durch den Einsatz von staatlich organisierten Nichtregierungsorganisationen (GONGOs) weiterhin an den Rand gedrängt und ihr Einfluss auf die Politikgestaltung eingeschränkt. In Belgien unterliegen sowohl Verbände als auch Unternehmen demselben rechtlichen Rahmen, wodurch die Unterscheidung zwischen beiden verwischt wird. Dadurch wird der Schutz der zivilgesellschaftlichen Organisationen verringert, da ihre kritischen sozialen und demokratischen Funktionen nicht anerkannt werden, was zum anhaltenden Trend der Delegitimierung der Zivilgesellschaft in ganz Europa beiträgt.
Einbindung von Organisationen der Zivilgesellschaft in den zivilen Dialog
Die Fortschritte bei der Einbindung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den zivilen Dialog sind in Europa unterschiedlich. Einige NSG berichten über positive Schritte in Richtung eines stärkeren politischen Engagements und der Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Gestaltung der Politik. Auch die Beteiligung an digitalen Plattformen hat zugenommen, was den Zugang zum zivilen Dialog erleichtert. In Deutschland hat das politische Engagement zugenommen, insbesondere im Vorfeld der Europawahlen, wodurch sich für zivilgesellschaftliche Organisationen mehr Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Politik ergeben. Spanien hat mit der Einrichtung der Kommission für den zivilen Dialog im Jahr 2013 große Fortschritte bei der Förderung des zivilen Dialogs gemacht. Die Verabschiedung des Gesetzes über soziales Handeln des Dritten Sektors und des Freiwilligengesetzes festigte die Rolle der CSO bei der Gestaltung öffentlicher Maßnahmen zur sozialen Eingliederung weiter.
Es gibt jedoch nach wie vor Probleme, und wichtige politische Entscheidungen werden Berichten zufolge ohne angemessene Konsultation der relevanten zivilgesellschaftlichen Organisationen getroffen. Vor allem Organisationen, die mit sozial schwachen Gruppen arbeiten, sehen sich häufig vom zivilen Dialog ausgeschlossen, was ihre Fähigkeit, sich für die Bedürftigsten einzusetzen, beeinträchtigt. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den EU-Beitrittsverhandlungen der westlichen Balkanländer zeigt unterschiedliche Fortschritte. In Albanien muss die Rolle der Zivilgesellschaft gestärkt werden, um die Beteiligung sinnvoller zu gestalten. Nordmazedonien bemüht sich um die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Vorbereitung seines EU-Beitrittsprogramms, auch wenn das Auswahlverfahren für die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht eindeutig ist. In Serbien spielt der Nationale Konvent für die Europäische Union weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Einbindung der Zivilgesellschaft in den EU-Beitrittsprozess. [2]
[1] Civicus (2023), Europa und Zentralasien: https://monitor.civicus.org/globalfindings_2023/europeandcentralasia/
[2] Europäische Mission Serbien (2024), Nationaler Konvent zur Europäischen Union: https://www.emins.org/en/nacionalni-konvent-o-evropskoj-uniji-nkeu/

Sozial gerechter grüner Wandel
Zugang zu sauberer Energie
Die Energiearmut in Europa hat stetig zugenommen. Der Prozentsatz der Personen, die ihre Wohnung nicht ausreichend warm halten können, stieg von 6,9% im Jahr 2021 auf 10,6% im Jahr 2023.[1] Dieser Trend spiegelt die zunehmenden Schwierigkeiten vieler Europäer wider, sich eine angemessene Heizung leisten zu können, und wird durch steigende Energiekosten und wirtschaftlichen Druck noch verschärft.
Der Zugang zu sauberer Energie ist in ganz Europa ein wachsendes Anliegen, und es wurde sowohl über Fortschritte als auch über Herausforderungen berichtet. Einige Länder, wie z. B. Belgien, haben bei der Entwicklung sauberer Energiequellen große Fortschritte gemacht. Deutschland erzeugt inzwischen fast die Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Energien. Serbiens Programm zur Anpassung an den Klimawandel 2023-2030 ist ein positiver Schritt. Trotz dieser Fortschritte nimmt die Energiearmut jedoch zu und vertieft Armut und soziale Ausgrenzung, insbesondere im Zuge der Energiekrise, die alle Länder getroffen hat.
Die steigenden Energiekosten haben die Haushalte unter immensen Druck gesetzt, und viele haben Mühe, ihre Energierechnungen zu bezahlen. In vielen Ländern leben die Menschen nach wie vor in schlecht isolierten Häusern, die im Winter unzureichend beheizt und im Sommer unzureichend gekühlt werden, und die Nutzung wichtiger Geräte ist eingeschränkt.
Spanien ist eine Ausnahme. Dort ist die Energiearmut bei Familien mit geringem Einkommen dank solider öffentlicher Unterstützungsmaßnahmen, die gefährdete Gruppen vor der Energiepreiskrise schützen, leicht zurückgegangen. Die meisten Länder verlassen sich jedoch auf kurzfristige Lösungen wie Energiegutscheine, die die tieferen strukturellen Probleme nicht angehen. Dies war auch in Italien der Fall. Allerdings gibt es keine einheitliche Definition von Energiearmut, was eine umfassende Bekämpfung des Problems erschwert.
[1] Europäische Kommission (2024), Energiearmut: https://energy.ec.europa.eu/topics/markets-and-consumers/energy-consumers-and-prosumers/energy-poverty_en